Zehn Jahre Münchner Literatur­fest: „Menschen werden immer lesen“

Von Christina Hertel

In den vergangenen Jahren sei das Literaturfest München politischer geworden, ziehe mehr Menschen an und strahle weit über die Stadtgrenzen hinaus, sagt Organi­satorin Tanja Graf. 2019 feiert es sein zehnjähriges Jubiläum – und bringt internationale Stars in die Landeshauptstadt.

Wenn man Tanja Graf zuhört, könnte man meinen, alle Probleme der Welt ließen sich mit einem guten Buch lösen: „Literatur ist die erste der Künste. Wer liest, lernt die Welt zu verstehen“, sagt sie etwa. Oder: „Dichter sind die Seismographen unserer Gesellschaft.“ So viel Begeisterung fürs Lesen braucht Graf nicht nur als Leiterin des Literaturhauses, sondern auch für ihre andere Aufgabe: das Literaturfest München mitzuorganisieren, das vom 13. November bis 1. Dezember stattfindet und 2019 sein zehnjähriges Jubiläum feiert. Seit seiner Gründung habe es immer mehr an internationaler Bedeutung gewonnen, sagt Graf. „Autoren kommen dafür aus der ganzen Welt nach München. Inzwischen interessiert sich nicht nur die Lokalpresse, sondern auch das Feuilleton für uns.“ Außerdem wachse es jedes Jahr ein wenig. 2018 besuchten laut Graf 22.000 Menschen das Festival.

Das Besondere am Münchner Literaturfest: Es setzt sich aus verschiedenen Veranstaltungsreihen zusammen. Dort lesen Autor*innen nicht nur aus ihren Büchern, sondern Intellektuelle, Philosoph*innen und Literat*innen diskutieren miteinander. Gleichzeitig bekommen die Besucher*innen einen Überblick über den Buchmarkt: Bei der Münchner Bücherschau im Gasteig präsentieren etwa 300 Verlage an die 20.000 Bücher. Die größte regionale Buchausstellung feiert ebenfalls Jubiläum: Vor 60 Jahren fand die Münchner Bücherschau zum ersten Mal statt. Ziel sei es damals gewesen, zu zeigen, was Bayern für ein starker Verlagsstandort ist, sagt Klaus Beckschulte, Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern e.V. und Organisator der Bücherschau. In den vergangenen Jahren sah Beckschulte alle möglichen Trends kommen und gehen. Verlage hätten schon immer versucht, Käufer*innen mit neuen Technologien zu erreichen. „Doch gerade erleben wir eine Rückbesinnung auf das Buch. Die Menschen sehnen sich danach, sich intensiv mit Themen zu beschäftigen“, sagt Beckschulte. Und zwar auf Papier: „Nach wie vor machen E-Books am Literaturmarkt nur einen Anteil von fünf Prozent aus.“

Impressionen aus zehn Jahren Literaturfest

Gleich beim ersten Literaturfest traten prominente Schriftsteller*innen auf – wie Umberto Eco. Foto: Juliana Krohn

Erkunden, was wirklich wichtig ist und Relevanz hat, war das Ziel von Matthias Politycki bei „forum:autoren“. Foto: Juliana Krohn

Auf eine Reise ins Unbekannte wollte Thea Dorn die Besucher*innen 2012 nehmen. Foto: Juliana Krohn

Vom Leben und Schreiben auf zwei Kontinenten handelte der Abend, den Henning Mankell 2013 beim Literaturfest veranstaltete. Foto: Christian P. Schmieder

Eine zweistündige Wutrede gegen die Bayreuther Festspiele hielt Jonathan Meese bei seinem Auftritt 2014. Foto: Jan Bauer

Tausende Menschen flohen 2015 nach Deutschland. Albert Ostermaier griff das Thema in seinem Festivalprogramm „front:text“. Foto: Juliana Krohn

Einer der Stars, der in diesem Jahr zu Gast ist, ist Salman Rushdie, der aus seinem neuen Roman „Quichotte“ liest. Foto: Rachel Eliza Griffiths

Zum Jubiläum des Literaturfests greift Ingo Schulze das Jahr 1989 auf, in dem in Deutschland die Mauer fiel. Foto: Catherina Hess

Das Ziel für die Zukunft: mehr Jugendliche zu erreichen

Für die Zukunft ist Beckschultes Ziel, mehr Angebote für 15- bis 25-Jährige zu schaffen. Seit 2019 gibt es für junge Erwachsene bereits die Veranstaltungsreihe „Generation Z – Stimmen für junge Leser“, bei der unter anderem geflüchtete Jugendliche eigene Texte über Krieg, Sehnsucht und Todesangst vorlesen. „Das Literaturfest ist gerade in den letzten Jahren immer politischer geworden“, sagt Tanja Graf. „Die Schriftsteller frönen nicht nur der Poesie. Sie beschäftigen sich mit den großen Themen der Zeit.“ Besonders deutlich werde dies in der Veranstaltungsreihe forum:autoren, die nun ebenfalls zehn Jahre alt wird. Immer eine andere Autorin oder ein anderer Autor stellt zu einem selbstgewählten Thema ein Programm zusammen – aus Lesungen, Diskussionen und Vorträgen. 2019 übernahm Ingo Schulze diese Aufgabe. Er beschäftigt sich unter dem Titel „Einübungen ins Paradies. Fragen an die Welt nach 1989“ damit, was das Ende des Kalten Krieges auf der ganzen Welt für Folgen hatte. Schulze stammt selbst aus Dresden und sagt: „Mit dem Fall der Mauer veränderte sich alles. Das Geld, die Liebe, die Luft, die Arbeit.“ Seine Gäste bat er, Texte darüber zu verfassen, was das Jahr 1989 in ihrem Heimatland für eine Bedeutung hatte. Er habe unter anderem Antworten aus Israel, Russland und Afrika bekommen und sei sehr überrascht gewesen. Zum Beispiel darüber, was die Wiederkehr des Kolonialismus in diesem Zusammenhang für eine Rolle spielte.  

„Stars ziehen sich gegenseitig an“

Auch das Literaturhaus greift in seinem Programm das Jahr des Mauerfalls auf und fragt nach, welche Umbrüche seit 1989 stattgefunden haben. Unter anderem zu Gast: Reyhan Şahin, die unter dem Namen Lady Bitch Ray als Rapperin Musik macht und in ihrem neuen Buch über Feminismus und den Islam spricht, und der langjährige Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert, der eine neue Definition von Heimat fordert. Auch international bekannte Autoren wie Salman Rushdie und Ilija Trojanow werden auftreten. „Stars ziehen sich gegenseitig an“, sagt Literaturhaus-Chefin Tanja Graf. Um diese zu erreichen und um damit die Relevanz des Festivals zu behalten, bräuchte es eigentlich mehr finanzielle Unterstützung, meint sie. „Wir bekommen ein Viertel weniger Geld als das Literaturfest in Berlin.“ Sie wolle deshalb in Zukunft nicht mehr alleine auf öffentliche Zuschüsse setzen, sondern auch Unternehmen als Sponsoren gewinnen. „Kunst und Kultur sind Wirtschaftsfaktoren, die eine Stadt erst attraktiv machen“, sagt Graf. Und Literatur sei Kunst mit einfachsten Mitteln – man brauche nur eine*n Poetin*en und eine*n Zuhörer*in. Deshalb sei sie sich sicher: „Die Menschen werden immer lesen – auch in Zukunft noch.“

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