Was auf die Ohren: An diesen Innovationen tüftelt die Audiobranche

Von Lukas Schöne

Wie könnte die Zukunft der Audionutzung klingen? Die Branche zeigt Talent für Innovation: von Voice-Anwendungen, die die Barrierefreiheit von Medienangeboten verbessern, über Printinhalte, die hörbar gemacht werden, bis zu innovativen Entwicklungen bei 3D Audio. Wir stellen sechs Best Cases aus Bayern vor.

Radiostationen unterstützen mit innovativen Projekten ukrainische Kriegsflüchtlinge

Innovation ist längst nicht nur rein technologisch zu verstehen. Innovative Ideen haben dann eine Durchschlagskraft, wenn sie zu Angeboten mit Mehrwert und Relevanz führen. Das gilt auch für den Audiobereich. Besonders beeindruckend haben das seit Ende Februar 2022 viele lokale Radiostationen in Bayern unter Beweis gestellt. Sie haben in kürzester Zeit Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine organisiert und Programminhalte für die Menschen aus dem Kriegsgebiet entwickelt: mit Nachrichten auf Ukrainisch, groß angelegten Spendenaufrufen oder der Bereitstellung von wichtigen Informationen, um sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden.

»Man sieht, was man mit lokalem Radio und mit Hilfe der Community vor Ort erreichen kann

Johannes Ott, Geschäftsführer Radio Gong 96.3

 

Foto: Radio Gong 96.3

Der Münchner Sender Radio Gong 96.3 stellte eine Hilfsaktion auf die Beine, durch die innerhalb von zwei Wochen fast 5.000 Ukrainer:innen eine Unterkunft finden konnten. Dazu baute das Team um Geschäftsführer Johannes Ott eine Online-Plattform und integrierte sie auf der eigenen Website. Dort konnten Geflüchtete mit den passenden Gastfamilien zusammengebracht werden. „Man sieht, was man mit lokalem Radio und mit Hilfe der Community vor Ort erreichen kann“, sagte Ott bei media.innovations, dem Innovations-Event der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM).

Über die Stärke des Mediums Radio und warum Innovation nur mit einem motivierten Team funktioniert, spricht Ott auch bei den Radiodays Europe am 16. und 17. Mai in Malmö. „Das alles war nur möglich mit einem ganz großen Engagement jedes Mitarbeiters. Ich habe jeden Mitarbeiter in diesem Unternehmen gesehen in diesen zwei Wochen, der vor und nach seiner Schicht oder am Wochenende mitgeholfen hat.“

Get-together bei den Radiodays Europe

MedienNetzwerk Bayern und XPLR: MEDIA in Bavaria laden die bayerische Audio- und Radiobranche zu einem Impulsvortrag und anschließendem Netzwerken ein.

 

Förderung innovativer Ideen

Ein motiviertes Team spielt bei Innovation eine entscheidende Rolle: Wenn alle Mitarbeitenden hinter neuen Projekten und Veränderungen im Unternehmen stehen, kann sich daraus eine enorme Kraft entwickeln. Solche Change-Prozesse passieren aber nicht von heute auf morgen. Wie sich Radiosender für die Zukunft aufstellen können, lässt sich bei der Klassik Radio AG in Augsburg beobachten. Dort wird viel investiert und ausprobiert, um das Unternehmen weiterzuentwickeln. Mit dem neuen DAB+ Programm „Beats Radio“ schuf das Team um Geschäftsführer Ulrich R.J. Kubak und Content-Chef Richard Goerlich vor einigen Monaten einen Sender, der mit Deep House- und elektronischer Dancemusik neue Zielgruppen ansprechen soll. Außerdem setzt die AG auf Kooperationen, unter anderem mit der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG). In einigen Berliner U-Bahnhöfen läuft nun – unter anderem nach Münchner Vorbild – klassische Musik, gesendet aus Augsburg.

Auch im Personalmanagement und Recruiting geht Klassik Radio neue Wege: Die aktuellen Volontär:innen geben in einem Podcast Einblicke in ihre Ausbildung. Wichtig dabei: Alles ist ungefiltert und wird nicht durch die Vorgesetzten vorgegeben. So sollen alle Seiten, positive wie negative, beleuchtet werden und ein authentischer Eindruck der Arbeit beim Klassik Radio entstehen. Um die Innovationskraft anzukurbeln und ihr einen Wohlfühlrahmen zu geben, bezog der Sender kürzlich neue Räume im ehemaligen Augsburger Stadtarchiv. Dort stehen nun hochmoderne, gläserne Radiostudios mitten auf dem denkmalgeschützten Dachboden.

Durch Innovation zu mehr Interaktion

Welche innovativen Wege Privatradio gehen kann, um im Unterhaltungsbereich auf ein neues Level zu kommen, zeigt Radio Gong mit den Audio-Walks. Das Format, das der Sender gemeinsam mit dem Start-up Storydive entwickelt und umsetzt, führt User:innen durch die Münchner Innenstadt und hält Geschichten zu den Orten bereit, an denen man sich gerade befindet. Neu ist auch ein Case am Münchner Airport, den der Sender in Kooperation mit dem Flughafenbetreiber an den Start gebracht hat. Dabei können die Hörer:innen verschiedene Rätsel lösen, die sie dann zur nächsten Station führen. Durch die eigenen Bewegungen bringt man wiederum die Geschichte voran. Wo Audioangebote oft beiläufig neben anderen Tätigkeiten konsumiert werden, drehen die Macher:innen bei den Audio-Walks den Spieß um und stellen das reine Hörerlebnis in den Vordergrund: „Audio plus X“ statt „X plus Audio“ – eine besondere Form der Interaktivität.

Interaktion spielt beim Voice-Unternehmen 169 Labs ebenfalls eine große Rolle. Dass die Technologie weit über „Spiel und Spaß“ hinausgeht, zeigt unter anderem ein neuer Alexa Skill, den die Agentur für ProSieben umgesetzt hat und der parallel zum Live-Programm im TV Audiodeskription anbietet. Das soll für Blinde und Menschen mit Sehbehinderung die Barrieren bei Videoangeboten deutlich abbauen. Start für die Anwendung war die Oscar-Verleihung, bei der parallel zum Originalton auch eine Audiodeskription mit Beschreibung von Gestik, Mimik und Garderobe der Preisträger:innen ausgespielt wurde. Wie wohl die Ohrfeige von Will Smith im Skill klang?

Dominik Meißner von 169 Labs

»Wir glauben sehr stark an den Use Case Live. Der alte Tatort als Hörfilm mit Audiodeskription ist nicht die perfekte Lösung.«

Dominik Meißner

Foto: 169 Labs

Inhalte hörbar zu machen, daran arbeitet auch das Start-up ahearo aus Hof. Dort geht es um Printinhalte von Verlagen, die durch die Umwandlung in Audioformate barrierefreier und für mehr Menschen nutzbar werden. So besteht die Chance, neue Zielgruppen für schon existierende Inhalte zu erschließen. Das Team um Geschäftsführer Johannes Garbarek arbeitet mit bekannten deutschen Hörbuchsprecher:innen zusammen. Die Stimmen sollen passend zu den Inhalten der Artikel ausgewählt werden. Die Verlage wissen über die Vertonung der Inhalte Bescheid und behalten die Rechte. Neben den Sprecher:innen kommt aber auch KI zum Einsatz, die aus jedem Text mehr lernt und künftig automatisierte Audiowerke möglich machen soll.

Medien Innovationsstudie 2021

Wie innovativ ist der Medien­standort Bayern?

Innovative Anwendungen für 3D-Audio

Wie eine vorhandene Technologie sinnvoll und mit Mehrwert eingesetzt werden kann, daran arbeitet auch Martin Rieger von VRtonung aus München. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, für die Möglichkeiten von 3D-Audio ein größeres Bewusstsein zu schaffen. Vor allem bei binauralem Audio gebe es große Fortschritte. Dabei handelt es sich um eine spezielle Aufnahmetechnik, die zu einem dem natürlichen Gehör nachempfundenen räumlichen Hörerlebnis führt, auch über normale Kopfhörer. „Jeder hat einen Kopfhörer zu Hause. Deswegen ist dieses nerdige Thema, mit dem sich nur wenige beschäftigt haben, jetzt einem riesigen Publikum zugänglich.“ Jetzt gehe es darum – vor allem im Bereich Virtual Reality, aber auch darüber hinaus bei reinen Audioanwendungen wie Hörbüchern – Cases zu schaffen, bei denen die Technologie einen echten Nutzwert bekommt. Rieger selbst arbeitet unter anderem bei einer deutsch-französischen Co-Produktion mit, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg auseinandersetzt. „3D-Audio schafft ein besseres Verständnis dafür, was für eine Zeit das eigentlich war.“

Insgesamt kann 3D-Audio dazu beitragen, Schicksale von Menschen greifbarer zu machen und für mehr Verständnis und Aufklärung zu sorgen, beispielsweise bei Krankheiten: Wie klingen eine Diagnose oder eine bestimmte Behandlungsmethode? Auch da arbeitet Rieger an entsprechenden Anwendungen. Details sind aber noch nicht spruchreif. Insgesamt agiert er unter der Leitfrage: „Nutzt man 3D-Audio allein, um irgendwie innovativ zu klingen, oder hat man eine Anwendung gefunden, die nur mit 3D so funktioniert?“

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