Dominik Schütte: „Marken müssen sich auf eine fragmentierte Medienwelt einstellen”

Von Nina Brandtner

Dominik Schütte macht mit Esquire ein Magazin „für gute Typen” / Foto: Roderick Aichinger

2020 halten die wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie Medienhäuser in Atem, Werbezahlen brechen ein. Es sind ungemütliche Zeiten, in denen Hubert Burda Media die Marke Esquire auf den deutschen Markt bringt – doch der Launch gelingt. Nach drei Printausgaben zieht Chefredakteur Dominik Schütte Bilanz, spricht über „gute Typen” und erklärt, wieso jede Medienmarke den 360°-Ansatz im Blick haben sollte.

Herr Schütte, auf dem Cover Ihrer gedruckten Ausgabe heißt es „Esquire — für gute Typen”. Wer ist da gemeint?

Dominik Schütte: Unsere Zielgruppe sind einerseits Kosmopolit:innen, Individualist:innen, weltoffene Menschen. Es sind Menschen, die einen eigenen Modestil, eine ganz eigene Haltung oder einen eigenen Kopf haben. Andererseits sind es progressive Menschen der jüngeren Generation, die großen Wert auf Nachhaltigkeit legen und gute Kaufentscheidungen treffen wollen. Denen eine Lebensweise wichtig ist, die den Planeten mindestens nicht noch weiter beraubt.

Mit guten Typen sind also nicht nur Männer gemeint.

Schütte: Der Begriff ist männlich konnotiert, aber trotzdem unisex. Eine Frau kann auch ein guter Typ sein. Ich möchte, dass Esquire weltoffen ist und umarmend der eigenen Zielgruppe gegenüber. Die Website und das Heft haben erwiesenermaßen viele Leserinnen.

Hubert Burda Media hat das schon seit 1933 in den USA erscheinende Magazin Esquire erst 2020 in Deutschland gestartet. Warum war das ein guter Zeitpunkt?

Weil die Chance da war. Wir haben sowohl Platz im Markt gesehen als auch den Zeitgeist. Auch aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen. Es hat sich unheimlich viel getan in den letzten Jahren: Die MeToo-Bewegung und verschiedenste gesellschaftliche Vorgänge haben einen starken Einfluss auf Männlichkeit und auf das Bild von Männlichkeit.

Eine moderne Medienmarke muss auf den verschiedenen Kanälen verschiedene Taktiken anwenden, um an die Zielgruppe zu kommen.“

Was hat Sie überzeugt, das Projekt zu übernehmen?

Es ist mein beruflicher Traum, Esquire zu machen. Ich habe schon bei verschiedenen Lifestyle-Magazinen gearbeitet, teils auch in verantwortlicher Position, aber das Magazin, das ich mir seit 20 Jahren gnadenlos jeden Monat kaufe, ist der US-Esquire. Dieser Schnack fehlte in Deutschland: Ein entspanntes Magazin mit Weltoffenheit, das mit gesundem Selbstbewusstsein und Selbstironie gemacht wird.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Herausgeber Hearst ab?

Mich macht glücklich, dass Hearst nicht einfach eine Lizenz in die Länder wirft, sondern es als Joint Venture organisiert. New York ist inhaltlich sehr involviert und interessiert. Tom Holland auf dem zweiten Cover war zum Beispiel eine Koproduktion mit den amerikanischen Kollegen. Nicht nur in der Pandemie ist es eine total valide Arbeitsweise, dass sich mehrere Länder zusammentun und international geschlossen auftreten.

Esquire gibt es als Printheft, Webmagazin, als Podcast und als Event-Format „Esquire Townhouse”. Welchen Mehrwert bietet so ein 360°-Ansatz?

Esquire ist Esquire ist Esquire, das ist ganz wichtig für uns. Dennoch muss eine moderne Medienmarke auf den verschiedenen Kanälen verschiedene Taktiken anwenden, um an die Zielgruppe zu kommen. Es ist 2021, wir leben in einer fragmentierten Medienwelt, darauf müssen sich Marken natürlich einstellen. Man muss nicht alles machen, aber man muss viel machen.

Wir haben unseren Kanälen jeweils spezifische Aufgaben zugewiesen: Print ist das Zentralgestirn. Facebook ist für den Traffic auf die Website wertvoll. Instagram ist für das Image und die Brand Awareness unverzichtbar. Unser Magazin ist voller Menschen und der Podcast ist der Ort, an dem man diesen Menschen in einem Long-Format ausgeruht zuhören kann. Der 360-Grad-Kreis schließt sich beim Esquire Townhouse.

Wir machen viel Trial and Error, bisher waren es glücklicherweise nur wenige Errors.“

Mehrere Kanäle zu bespielen braucht viel Zeit und Aufwand. Geht sich die Kosten-Nutzen-Rechnung auf?

Ja, wir sind sehr zufrieden. Wir wollen viel ausprobieren. Wichtig ist für uns, dass wir redaktionell handlungsfähig bleiben: Wenn wir etwas Neues machen, muss es einen Mehrwert haben, sei es finanziell oder sei es inhaltlich. Aber sobald etwas einen inhaltlichen Mehrwert hat und die Menschen es super finden, wird fast immer ein finanzieller Mehrwert daraus. Wir machen viel Trial and Error, bisher waren es glücklicherweise nur wenige Errors.

Werfen wir einen Blick auf Ihr Heft: Ist es grundsätzlich eine gute Idee, heute noch ein Printmagazin auf den Markt zu bringen?

Eine fast 100 Jahre alte Marke, die so sehr aus ihrer Heritage schöpft wie Esquire, braucht definitiv ein gedrucktes Magazin. Wir machen täglich Content, Social Media, Podcasts und nur vier Mal im Jahr das Printheft, dennoch ist es das Zentralgestirn unserer Marke.

In unserer Zielgruppe gibt es viele, die noch einen Vinyl-Plattenspieler haben. Sie gehen aber auch auf Konzerte und haben einen Spotify-Account. Das Esquire Printheft ist die Vinylplatte, wo es noch richtig knistert. Man legt das Handy zur Seite und nimmt sich eine Auszeit. Dafür ist vier Mal im Jahr Zeit, und zwar in jedem Leben, sogar im Leben unserer vielbeschäftigten Zielgruppe.

Welche Fragen haben Sie sich bei der Planung des Printmagazins gestellt?

Die wichtigste Frage war die nach der Zielgruppe. Die zweite Frage war: Welche Mischung aus Geschichten brauchen wir, damit wir dieser Zielgruppe eine richtig gute (Aus-)Zeit schaffen? Damit sie das Ding zur Seite legen und sagen: Das kaufe ich mir in drei Monaten wieder. Esquire muss in erster Linie in entspannten Momenten funktionieren, muss einen gewissen Eskapismus bieten. Also außergewöhnliche Produkte, tolle Mode, High Class Fotografie, spannende Reportagen und Interviews. Es muss sich wie die internationale Marke anfühlen, die Esquire ist.

Wir wollen nicht das siebte Magazin sein, das nacheinander George Clooney, Brad Pitt und Leonardo DiCaprio auf dem Cover hat.

Was haben Sie seit Erscheinen der ersten Printausgabe im Oktober 2020 gelernt und vielleicht schon auf die aktuelle Sommerausgabe angepasst?

Wir hatten eine Leserbefragung zur ersten Ausgabe: Die beliebtesten Geschichten waren die Titelgeschichte über Matthew McConaughey und, was mich sehr überrascht hat, eine Geschichte über das traurige 50-jährige Jubiläum des Gummigeschosses. Das war eine Reportage über diese vermeintlich nicht-tödliche Waffe, die seit ihrer Entstehung mehr als 2.000 Leute getötet hat. Das hat die journalistischen Herzen sehr gefreut, weil Titelgeschichte und Reportage ganz zentrale Elemente sind, um die herum wir das Heft bauen. Dass sie gut ankamen, hat uns die Sicherheit gegeben, an vorhandenen Rezepten seriös weiterzuarbeiten.

Für mich ist wichtig: Esquire ist das am klarsten strukturierte Heft der Welt. Es ist ein Dreiakter: Es beginnt mit News, dann geht es um das Leben unserer Zielgruppe im Life-Teil und am Ende kommt der Style-Teil. In der Navigation weiß man immer, wo man ist.

Auf dem Cover der aktuellen Ausgabe ist der 18-jährige Schauspieler Finn Wolfhard zu sehen. Lässt sich auch seine Generation für das Medium Printmagazin begeistern?

Das Esquire-Mindset ist nicht eine Frage des Alters, sondern eine Frage der Haltung. Ich möchte, was das Cover angeht, sehr offen sein. Matthew McConaughey hat sehr gut funktioniert, Tom Holland auf dem zweiten Cover hat uns beflügelt. Und da denke ich wie ein Stand Up-Comedian: Wenn die merken, dass ein Gag gut ankommt, gehen sie gnadenlos nochmal in die gleiche Richtung. Also holten wir für die dritte Ausgabe Finn Wolfhard.

Wir wollen tendenziell gerne überraschen. Wir wollen nicht das siebte Magazin sein, das nacheinander George Clooney, Brad Pitt und Leonardo DiCaprio auf dem Cover hat.

Kunden stecken unheimlich viel Liebe, Kreativität und Aufwand in ihre Kampagnen, deswegen wollen sie, dass die Kampagnen in einem Umfeld stattfinden, das genauso viel Liebe, Aufwand, Kreativität und Brain reinsteckt.“

Schon für die Erstausgabe von Esquire hatten Sie keine Probleme, ausreichend Werbekunden aufzutreiben. Warum ist die Plattform Printmagazin für Werbetreibende immer noch so attraktiv?

Ach, Fashion liebt Print! Wir haben das große Glück, mit der internationalen Marke auch internationale Anzeigekunden gewinnen zu können. Kunden stecken unheimlich viel Liebe, Kreativität und Aufwand in ihre Kampagnen, deswegen wollen sie, dass die Kampagnen in einem Umfeld stattfinden, das genauso viel Liebe, Aufwand, Kreativität und Brain reinsteckt. Das Haptische ist für High-End-Kunden etwas ganz Besonderes und hat eine unglaubliche Anziehungskraft.

Audio, Print und Webmagazin – worauf wird in der Zukunft Ihr Fokus liegen?

Wir bleiben mindestens so breit aufgestellt, wie wir es jetzt sind. Wir wollen das Townhouse unbedingt weiter etablieren. Der Podcast macht uns unglaublich Spaß. Die Website und unsere Social-Media-Kanäle sind unsere Möglichkeit, täglich mit der Zielgruppe in Kontakt zu sein und über sie zu lernen. Das hat wiederum positive Auswirkungen auf Print. Dass Esquire im Werbemarkt so gut ankommt, führt dazu, dass gewisse Begehrlichkeiten geweckt werden. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir Esquire noch weiter ausbauen.

Im September 2019 haben Anke Helle (39) und Mateja Mögel (42) die Chefredaktion der „freundin“ übernommen. Seit vier Quartalen können sie sich über eine wachsende Auflage freuen. Ein Gespräch über Teamwork, radikale Digitalisierungsprozesse und das Einreißen von Grenzen.

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