Hauseins – Podcast! Aber bitte Divers!

Podcasts! Aber bitte divers.

MIT HAUSEINS MISCHEN KATRIN RÖNICKE UND SUSANNE KLINGNER ERFOLGREICH DIE PODCAST-WELT AUF – UND SETZEN MUTIGE SCHWERPUNKTE.

Text: Lisa Priller-Gebhardt
Fotos: Kinga Cichewicz
Illustration: Inke Ehmsen

Abstellkammern haben eine prima Akustik. Deshalb verschwindet Susanne Klingner regelmäßig in dem Kämmerchen in ihrer Münchner Wohnung, um zu arbeiten. Der kleine Raum ist bis unter die Decke vollgestopft mit Büchern, Kisten und dem Staubsauger, die Tür geht kaum zu. Aber dort ist der Klang nun mal besonders sauber – für einen gelungenen Podcast das A und O. Und so sendet Klingner Audiobeiträge wie den „Lila Podcast“ oder den „Plan W Podcast“ von hier hinaus in die große Welt. Ein extra Studio? Nicht nötig.

Das Label hauseins gibt es seit dem 27. Juli 2017. An diesem Tag unterschrieben die beiden Journalistinnen Susanne Klingner und Katrin Rönicke beim Notar den Gründungsvertrag. Das war zu einer Zeit, zu der die breite Masse mit dem neuen Medium noch nicht sehr viel anfangen konnte. Als Klingner im Zuge eines Sabbaticals zehn Monate an der University of Michigan verbrachte, lernte sie dort die US-amerikanische Podcast-Szene besser kennen und sprach mit den Machern von Gimlet, Voxmedia und NPR. „Dieser Austausch hat mich total angefixt. Ich habe gemerkt, das ist mein Format“, sagt Klingner, denn auch hier erzählt man Geschichten, halt nicht auf Papier, sondern via Audiodateien. Ihre Themen: Politik, Feminismus, Umwelt, Sex. „Das war ein totaler Blindflug mit Leidenschaft“, sagen Klingner und Rönicke heute im Rückblick. Drei Jahre gaben sie sich, um herauszufinden, ob das was wird. Schon nach einem Jahr war klar: „Wir können davon leben.“

Medienstandort München

hauseins sitzt zur Hälfte in München (Susanne Klingner), zur Hälfte in Berlin (Katrin Rönicke). Die 15 Freelancer*innen, die mittlerweile für das Podcast-Label arbeiten, sind über ganz Deutschland verteilt. Es wird viel geslackt, jeden Freitag skypen die beiden Gründerinnen und Journalistinnen fix zwei Stunden. Immer Thema: „Wie war deine Woche?“

Infos unter hauseins.fm.

Zwei von fünf Personen zwischen 16 und 29 Jahren geben an, Audio-on-Demand-Angebote zu nutzen.

Themen wie Feminismus und Genderfragen werden schlau verpackt

In seinen frühen Anfängen war der Podcast vor allem Verbreitungskanal für Geeks. Inzwischen ist das Medium Trend – und es hat die breite Masse erreicht. Laut einer Umfrage von Bitkom im Juli 2020 hört mittlerweile jede*r dritte Verbraucher*in in Deutschland (33 Prozent) zumindest selten Podcasts. Im Vorjahr war es erst jede*r vierte (26 Prozent). Die gesprochenen Geschichten sind vor allem bei Millennials ziemlich gefragt: Zwei von fünf Personen zwischen 16 und 29 Jahren (40 Prozent) geben an, Audio-on-Demand-Angebote zu nutzen.

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Laut einer Umfrage von Bitkom im Juli 2020 hört mittlerweile jede*r dritte Verbraucher*in in Deutschland zumindest selten Podcasts. Im Vorjahr war es erst jede*r vierte.

Während zwei der berühmtesten Vertreter des Genres, Olli Schulz und Jan Böhmermann, in „Fest & Flauschig“ – der übrigens zeitweise der weltweit beliebteste Podcast bei Spotify war – zwischen Blödelei und Selbstironie pendeln, haben Labels wie Viertausendhertz oder hauseins die Podcast-Landschaft neu aufgerollt. Sie arbeiten nach journalistischen Standards.

Die Formate von hauseins entstehen mithilfe von viel Recherche und kritischem Nachfragen. „Wir erzählen Geschichten des menschlichen Alltags, machen Politik verständlich und bringen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur zusammen“, sagt Klingner über ihre Beiträge, die sie selbst liebevoll „Weltverbesserer-Podcasts“ nennt. Was immer mitschwingt, ist das Thema Diversity. Und wenn man den Produzentinnen zuhört, während sie über Geschlechter-Ungleichheiten in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft sprechen, stellt man schnell fest: Die beiden führen versöhnliche Gespräche, in denen es nicht um Grabenkämpfe, sondern um Lösungen geht.

»Gegründet wurde hauseins mit dem Plan, wunderbare Geschichten des menschlichen Alltags zu erzählen.«

Auch sonst packen sie konsequent Themen an, die andere lieber liegen lassen: Im Podcast „Maschallah“ geht es beispielsweise um Lebenswelten von Muslim*innen in Deutschland. Für dieses Projekt wurden sie 2019 bei der re:publica gefeiert und mit dem Gewinnerpreis in der Kategorie „Originals gesucht“ geehrt. „Katrin und Susanne zeigen, dass Diversität kein Marketing- Buzzword ist, sondern ein echter Zugewinn, für die Hörer*innen und die Podcast-Landschaft insgesamt“, schwärmt etwa Medienforscherin Nele Heise.

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Crowdfunding für die neuen Ideen

Was vor drei Jahren für die beiden freien Journalistinnen als Teilzeit-Business begann, hat sich zum Fulltime-Job entwickelt. Klingner hat ihre freien Engagements fast gänzlich aufgegeben, Rönicke arbeitet noch für den Deutschlandfunk. Wenn sie nicht podcastet, schreibt die studierte Erziehungswissenschaftlerin Bücher über Sex und Emanzipation, zuletzt eine Biografie über Beate Uhse. Mit anspruchsvollen Hördateien Umsatz zu machen, bedeutet Aufwand. Das Geld dafür lässt sich nicht ausschließlich mit Werbung einspielen. Schließlich will hauseins die Hörer*innen nicht mit billigen Spots zuballern. Inzwischen werden vier der Podcast-Reihen von der Fangemeinde unterstützt. Für „Anekdotisch evident“, „Halbe Katoffl“, „Lila Podcast“ und „Wochendämmerung“ Sammeln die Gründerinnen per Crowdfunding Geld. „Wir verbuchen das als großen Erfolg, dass unsere Hörer*innen bereit sind, Projekte zu finanzieren“, sagt Klingner. Doch nicht nur das Geld muss vernünftig verwaltet werden, auch die Zeit.



Katrin Rönicke ist Journalistin und Erziehungs­wissen­schaftlerin. Wenn sie nicht podcastet, schreibt sie Bücher über Sex und Emanzipation.

Beide mussten erst lernen, Nein zu sagen. Heute wird ein Auftrag auch mal abgelehnt, wenn er nicht angemessen bezahlt wird.



Viele Jahre arbeitete Susanne Klingner als freie Autorin, unter an-derem für die SZ. Bei einem Journalismus­stipendium in den USA erkannte sie: „Podcast ist mein Medium!“

Anfangs produzierten Klingner und Rönicke hauptsächlich, heute sind sie auch beratend tätig, helfen bei der Entwicklung von Formaten, von der vagen Idee bis hin zur ersten Episode, schreiben Angebote und Rechnungen, müssen Werbekunden und Finanzierungspartner an Land ziehen und lästige Themen wie die Umsatzsteuer­voranmeldung im Blick behalten.
Obwohl sich beide fest vorgenommen hatten, nicht wie ein typisches Startup zu expandieren, sondern Slow Business zu betreiben, wurden die Arbeitstage immer länger – vollgepackt mit Terminen. Bis sie beide im vergangenen Jahr regelrecht ausbrannten und für ein paar Wochen ausfielen. „In der Theorie ist Slow Business schön und gut, in der Praxis sieht das dann aber auch oft anders aus“, sagt Klingner. Sie mussten erst lernen, Nein zu sagen. Heute wird ein Auftrag auch mal abgelehnt, wenn er nicht angemessen bezahlt wird.

Klingner sitzt in München, ihre Co-Gründerin und Freundin Katrin Rönicke lebt in Berlin und ist wie Klingner ebenfalls zweifache Mutter. Wie funktioniert ein Team, das sich im Jahr höchstens zweimal leibhaftig sieht? Unter der Woche wird viel geslackt, auch mit den Kolleg*innen, die neben Berlin über die Städte Magdeburg, Köln und Augsburg verteilt sind. „Am Freitag skypen Katrin und ich“, erklärt Klingner. Damit kein Thema und kein Termin durchrutscht, legt jede mithilfe von Evernote, eine Art digitaler Post-it-Software, eine Liste an. Zwei Stunden sind für den Binnenaustausch und die Frage: „Wie war deine Woche?“ fest reserviert.

Längst arbeiten Klingner und Rönicke nicht mehr als Two-Women-Show. 15 Freelancer*innen werkeln für hauseins, darunter Cutter*innen, Moderator*innen und Redakteur*innen. „Es macht uns stolz, dass wir unter fairen Bedingungen Menschen die Möglichkeit geben können, mit ihrer Arbeit einen Teil ihres Lebensunterhalts zu bestreiten“, so die Gründerin, die sich noch allzu gut an ihr Dasein als gestresste Freiberuflerin im Medien-Business erinnern kann.

Um nichts in der Welt würde sie einen Platz in einer Redaktion gegen den in ihrem Abstellkämmerchen eintauschen wollen.

WIE GEHT PODCAST, SUSANNE?

Welche Technik nutzt du für die Produktion deiner Podcasts?

Susanne Klingner: Ich nutze das Mikro Røde Procaster, das funktioniert ziemlich gut. Für die Audioaufnahmen habe ich mir das Zoom H6 zugelegt. Mit dem kann man vier Spuren gleichzeitig aufnehmen, was praktisch ist, wenn mit mehreren Leuten gesprochen wird. Für die Arbeit zu zweit tut es auch ein USB-Mikro. Das nutzen wir auch für Beiträge, die wir remote erstellen. Die gibt es schon für 100 bis 150 Euro. Das reicht für den Anfang völlig aus und man kann schnell loslegen. Gute Audiorekorder sind deutlich teurer. Dafür muss man zwischen 300 und 600 Euro berappen. Für einen sauberen Sound, der nicht nach Klinik oder Kathedrale klingt, kann man sich – Achtung, kein Witz! – vor einen offenen und gut gefüllten Kleiderschrank setzen. Ich nutze bei mir daheim die Abstellkammer, die ist 1,60 mal 1,60 Meter groß. An die Zimmerdecke habe ich für einen noch besseren Klang Basotect-Platten geklebt.

Wie findet man gute Themen?

Susanne: Jedes Thema ist ein gutes Thema, wenn man dafür brennt. Ohne Leidenschaft geht’s halt nicht. Bei hauseins machen wir vornehmlich Beiträge rund um Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Ich bin in Ostberlin aufgewachsen, war elf Jahre alt, als die Mauer fiel, und anschließend eine sehr politische Jugendliche, das prägt auch meine Arbeit. Ich glaube, wenn die Leute mehr wissen, treffen sie auch andere Entscheidungen. Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass man sein Publikum auch unterhalten muss. Man darf sich nicht davon abschrecken lassen, dass schon sehr viele gute Inhalte umgesetzt wurden. Ich finde, es gibt immer noch mögliche Varianten, ein Thema noch interessanter umzusetzen. Beispielsweise eine Geschichte mal nicht als Zweiergespräch aufziehen, sondern als Reportage. Das gibt gleich eine ganz andere Tiefe.

Wie lange sitzt ihr an einem 45-Minüter?

Susanne: Für ein Gesprächsformat recherchieren wir im Vorfeld, führen das Interview, machen eine An- und Abmoderation und produzieren vielleicht noch einen akustischen Kasten mit ein paar Fakten. Das dauert dann so zwei Tage. Für die aktuelle Audioreihe „Wir schaffen das! Wie ein Satz Deutschland veränderte“ für FYEO – die Audio-on-Demand-Plattform von ProSiebenSat.1 – erstellen wir pro Folge ein 20-seitiges Manuskript.

Es recherchieren zwei Reporterinnen vor Ort, führen Interviews und klären Rechte. Das dauert dann schon eher gut eine Woche Arbeitszeit.

Wie viel kostet eine Sendung?

Susanne: Das ist ganz unterschiedlich. Ein Reportageformat wie das für FYEO kann man nicht unter 5.000 Euro pro Episode produzieren. Gesprächspodcasts liegen bei rund 1.500 Euro. Anders als in unserer Anfangsphase wissen wir inzwischen, dass wir für die gute Arbeit, die wir abliefern, auch entsprechend was verlangen können. Wir machen keine Dumpingpreise und verkaufen uns nicht unter Wert.

Wie bekommt man mehr Publikum?

Susanne: Man muss ziemlich viel klappern, eigentlich sollte man dafür genauso viel Zeit einsetzen, wie man in die Episode gesteckt hat. Man sollte alle Social-Media-Kanäle bespielen und dort eine Community aufbauen. Hier empfehlen wir vor allem Insta gram. Die Community hilft extrem. Sie schickt Themenvorschläge und empfiehlt einen weiter. Außerdem raten wir dazu, sich mit Podcast-Kolleg*innen zu vernetzen, die in einer ähnlichen Nische unterwegs sind.

Einfach Kontakt aufnehmen mit der Bitte um Weiterempfehlung. Die Podcast- Branche ist sehr kollegial eingestellt und unterstützt sich gegenseitig. Ein guter Kniff ist auch, bekannte Podcaster*innen oder Leute mit Reichweite in die Sendung einzuladen. Dieser Multiplikator-Effekt ist von großem Wert.

Was zahlt ihr euren Mitarbeiter*innen?

Susanne: Ich komme selbst aus dem Tageszeitungsbereich und weiß, wie schlecht dort bezahlt wird. Da wird nicht lange gefackelt, denn es findet sich immer jemand, der es für weniger Geld macht. Deshalb haben Katrin und ich relativ früh festgelegt, dass wir uns an den Honoraren der Öffentlich-Rechtlichen orientieren wollen. Das sind im Schnitt 45 Euro pro Stunde. Unsere Leute machen einen Top-Job und der soll vernünftig bezahlt werden.

Wie kriegt ihr die Kohle rein?

Susanne: Zum einen über Werbespots, die wir auch selbst sprechen. Das beginnt – je nach Länge – bei 150 Euro Tausend- Kontakt-Preis (TKP). Alles, was sehr weit darunterliegt, lehnen wir ab, außer wir sind von dem Produkt so überzeugt, dass wir es trotzdem machen wollen. Einige Branchen lehnen wir dagegen von Haus aus ab. Wir senden beispielsweise keine Werbung für Autos, Aktien und Flugreisen. Auch deshalb, weil das Publikum tickt wie wir. Die Kunden können gar nicht so viel bezahlen, wie wir durch die sinkende Wertschätzung und den Imageschaden bei unserem Publikum verlieren würden. Zum anderen finanzieren wir alle unsere Podcasts entweder ganz oder teilweise über Crowdfunding. Die Hörer*innen zahlen auf freiwilliger Basis regelmäßig über Paypal oder per Dauerauftrag.

Kann man mit einem Podcast-Label reich werden?

Susanne: Nein, ja (lacht). Ich habe früher als freie Printjournalistin gearbeitet und ich kann nur sagen: Seit ich Podcasts mache, hat sich mein Einkommen total verbessert. Auch unser Steuerberater ist sehr zufrieden mit uns (lacht wieder). Vor allem im Bereich Beratung kann man gutes Geld verdienen. Aber im Ernst: Es gibt Podcast-Buden, die nehmen deutlich mehr als wir, aber Gewinnmaximierung ist nicht unser Ziel. Wir wollen Produktionen umsetzen,

die uns Spaß machen und von denen unsere Mitarbeiter*innen und wir vernünftig leben können.

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